Blaise Bachofen

ehemaliger Schüler der ENS Ulm und Lehrbeauftragter der Philosophie, ist Dozent an der Universität Cergy-Pontoise, Paris. Er ist Spezialist für politische und juristische Philosophie und Autor einer Studie über das politische Denken von J.-J. Rousseau (La Condition de la liberté. Rousseau, critique des raisons politiques, Paris, Payot, 2002).

Rousseau mit und gegen die Aufklärung: Die Ambivalenz des Begriffs der „Perfektibilität“

Der Begriff der "Perfektibilität" steht im Mittelpunkt von Rousseaus Werk. Es handelt sich dabei um einen Quasi-Neologismus: Der Begriff begegnet uns nur einmal vor dem Discours sur l'inégalité (1755), und zwar bei Grimm. Dabei ist er ein zentraler Begriff, um Rousseaus komplexe Beziehung zur Aufklärung zu verstehen. Der von d'Alembert im Discours préliminaire de l'Encyclopédie eröffnete Dialog mit dem Genfer veranschaulicht die Ratlosigkeit, die seine Thesen bei den Philosophen seiner Zeit auslösten: Steht er auf der Seite der Vernunft, des Fortschritts, oder auf der Seite der Konservativen, die damals mit den Theologen in Verbindung gebracht wurden? Die Übernahme des Begriffs "Perfektibilität" durch Condorcet in seinem Tableau historique des progrès de l'esprit humain (1794), einem Paradebeispiel für den historischen Optimismus, der sich im 18. Jahrhundert herausbildete, setzt diese Kontroverse fort. Condorcet gibt dem Begriff "Perfektibilität" dieselbe Bedeutung wie Grimm: die "Fähigkeit, sich selbst vollkommener zu machen". Bei Rousseau hat die "Perfektibilität" jedoch eine ganz andere Bedeutung. Es ist die Fähigkeit, "seine Fähigkeiten zu perfektionieren"; folglich die Fähigkeit, theoretisches und technisches Wissen zu entwickeln ... aber auch die Fantasie und die Leidenschaften, die Eigenliebe, den Größenwahn und den Wunsch nach Herrschaft. Der "perfekte" Mensch, in diesem Sinne verstanden, ist in keiner Weise absolut "perfekt". Seine „aktivierten“ Fähigkeiten können ihn sowohl zum Schlimmsten als auch zum Besten führen. Die Geschichte und die Gegenwart zeugen von dem bemerkenswert vorausschauenden Charakter dieser Anthropologie.

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